Tag: Trauer (page 1 of 2)

Was mach ich nur mit…?

imageAnderthalb Wochen bin ich nun zurück und kann zum Glück sagen: Es ist nicht alles Grau in Grau. Natürlich habe ich bessere und schlechtere Tage – und selbst von Stunde zu Stunde wechselt die Verfassung. Aber irgendwie geht es voran, ich wurschtel mich durch. Und manchmal staune ich selbst über Momente der guten Laune, wenn ich lauthals über irgendeinen Blödsinn im Fernsehen lache oder mich abends beim Bier an guter Gesellschaft wärme.

Sogar der Schlaf ist etwas erholsamer geworden, dieser Tage. Heute bin ich beinahe strotzdend vor Energie aus dem Bett gehüpft. Seit einer Woche besitze ich die sogenannte Abo-Card für das Schwimmsport-Leistungszentrum auf den Südhöhen. Bisher bin ich dort fast jeden Tag und schaffe einen halben bis ganzen Kilometer. Routinierte Schwimmer lächeln da nur müde, für mich ist das genau richtig.

Zur Selbstfürsorge gehört auch, dass ich mich nicht mutwillig selbst quäle. In den ersten Tagen nach Johannes Tod habe ich manchmal noch die Wohnungstür geöffnet und betont arglos „Haaalloo…“ in den Flur gerufen, nur um einen Wimpernschlag lang zu spüren, wie schön doch die Normalität wäre und wie schwer gleich danach die unvermeidliche Stille wiegt. Nein, das muss nicht sein. Stattdessen beschäftige ich mich lieber etwas ernsthafter mit Johannes Nachlass. Unseren Freund Kanga habe ich schon eingeladen, damit er bald mal für ein Wochenende aus dem Schwäbischen zu Besuch kommt und mir beim Sortieren hilft. Johannes hat viel Technik angehäuft, die ich nicht einordnen kann, vor allem nostalgische Computer, deren Teile und Zubehör. Bei dem Großteil des Fundus wird mir die Trennung nicht schwer fallen. Hoffentlich.

Viel komplizierter wird es bei den alltäglichen Dingen, der Kulturbeutel im Bad, die Klamotten im Schrank, der Inhalt seiner Geldbörse. Die Sammlung der Plastikkarten ist wie ein Konzentrat aus seinem und unserem Leben: Der Jugendherbergs-Ausweis (vor allem bei der Bestrahlung in Heidelberg gebraucht), die Sonnenstudio-Wertkarte (gelegentlich sind wir da im Winter hin), der Führerschein (er ist auch krank noch lange gefahren), die Bahncard, der Behindertenausweis (der fünf Jahre gilt und den wir doch unbedingt verlängern wollten). Der kleine Kartenstapel liegt in der Küche herum und wird von mir hin- und hergeschoben.

Noch schwieriger: Was soll ich nur mit seinem Trauring machen? Meinen trage ich natürlich bis zum Umfallen. Doch seiner passt mir nichtmal an den kleinen Finger. Als Kette um den Hals getragen, könnte ich ihn verlieren. Das will ich auf keinen Fall riskieren. Und würde er dort überhaupt hingehören? Sollte er nicht möglichst nah bei Johannes bleiben, also irgendwo am Grab? Noch habe ich keine Antwort. Er war ihm so ungeheuer wichtig. Nur einmal, als der viel zu enge Stahl ihm Schwielen verursacht hatte, musste der Ring ein Weilchen an die andere Hand umziehen.

imageA propos Grab: Das hat sich inzwischen stark verändert. Die Friedhofsgärtner haben es so weit aufbereitet, dass es bepflanzbar ist. Und meine Schwiegermutter hat schon einiges an Zeit und Liebe hineingesteckt. Fehlt demnächst noch ein Grabstein – der womöglich gar kein Stein wird, sondern etwas ganz Eigenes, aus Holz zum Beispiel.

Wie sehr mich die Trauer dieser Tage beschäftigt, auch unterschwellig, kann ich übrigens auch ganz direkt ablesen. Der Indikator ist mein Rang beim Go. Jedes Turnier fließt da mit ein – und da ich zur Ablenkung das eine oder andere gespielt habe, ist er recht aussagekräftig. Erst vergangenes Wochenende wollte ich ihn wieder etwas aus dem Keller holen und bin nach Eindhoven gefahren, anderhalb Stunden von hier im holländischen Brabant. Doch das war wohl nix. Nach zwei intensiven, anstrengenden und erfolglosen Partien habe ich die Rückreise angetreten und mir den zweiten Turniertag geschenkt. Wirklich frustriert bin ich wegen dieses Formtiefs nicht. Höchstens erstaunt.

Sehen, riechen, fühlen

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Der Blick aus unserem Wohnzimmer ist derzeit nicht aufbauend.

Trist, grau und kalt ist es, draußen wie drinnen. Die Trauer ist seit meiner Rückkehr viel mächtiger und erdrückender geworden. Vielleicht, weil ich Johannes Tod nun etwas mehr glaube. Vielleicht, weil nun keine Reise mehr ansteht, auf die ich mich konzentrieren kann. Vielleicht aber auch, weil ich mir mehr Trauer zumute. Wenn ich mir eine besonders große Portion davon zutraue, dann verstärke ich meine Erinnerungen noch mit Bildern, Tönen oder – ja, tatsächlich, Gerüchen. Weil ich ganz stark ein Geruchsmensch bin, habe ich zwei seiner getragenen T-Shirts in einer Plastiktüte aufbewahrt. Die Wochen und Monate, die seitdem verstrichen sind, tun der Konserve zwar nicht gut. Ohnehin war sein Körpergeruch zuletzt durch die Krankheit verfälscht. Aber trotzdem: Was da noch drinsteckt, reicht aus, um ihn mir ganz nah heranzuholen. Auch die Bebe-Bodylotion, mit der er sich immer so hingebungsvoll gepflegt hat, habe ich mir heute morgen gegönnt. Sprichwörtlich eine süße Erinnerung, auch wenn sie schrecklich weh tut. Sein Aftershave vertrage ich noch gar nicht. Dessen Geruch fand ich immer dermaßen sexy, dass ich ihm regelmäßig erlegen bin. „Boah, riechst Du gut!“, habe ich dann immer gesagt und  ihn mir kurz geschnappt.

Noch ein Stück Erinnerung will ich teilen: Johannes hat ja die Entwicklung des mutmaßlich größten, schwersten und teuersten Brettspiels der Welt (ach, des Universums!) „Whacky Wit“ mit initiiert und begleitet. Da er außerdem den Rubiks-Zauberwürfel zu seinem Hobby gemacht hat – auch als ergotherapeutische Rechthandübung – liegt es nur nahe, dass er einen Whacky-Wit-Zauberwürfel entworfen hat. Wie man ihn löst, zeigt er der Welt mit einem Video (im April), in seiner ganz eigenen, unnachahmlichen Art: so wunderbar lieb und arglos, ein wenig hölzern und doch verschmitzt. Das ist einfach Johannes, mein geliebter Mann.

Die Reise in Bildern

Von meinen ersten Tagen in Bangkok ist – mangels Smartphone – leider wenig dokumentiert. Gleiches gilt für Singapur, doch da war’s  mir ohnehin zu heiß und zu schwül (nebenan in Indonesien brannten zudem die Wälder, es roch also auch noch schlecht) – da habe ich wenig unternommen.  Auf dem Schiff durfte ich mir dann aber Rainers Super-Kamera ausleihen. „Dann benutzt die wenigstens mal jemand“, meinte er. Stimmt: Kaum an Land, hatte ich sie im Anschlag. Von den fast 800 Fotos, die dabei herausgekommen sind, habe ich hier mal ein Zehntel zusammen gestellt (Texte wie immer in der Vollansicht).

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Plötzlich Herbst

Die Reise ist rum. Was ich so erlebt habe, reiche ich noch in Form von Bildern nach. Mangels Smartphone war das von unterwegs aus recht schwierig. Einen ersten Vorgeschmack gibt es schon im neuen Titelbild, das ich von einem der Gipfel über Hongkong Island aufgenommen habe. Mir gefallen die beiden Ebenen und der große Kontrast darin.

Doch nun bin ich erstmal zurück – und damit auch die Trauer. Gestern Vormittag bin ich in Vohwinkel angekommen – und habe mich zunächst darum gedrückt, in die Wohnung zu fahren. Also habe ich bei meinem Schwiegervater mein Auto in Empfang genommen, war bei der Bank, habe eingekauft, meine Schulden beim Frisör bezahlt und bin dann ganz langsam in die Memeler Straße gefahren. Auf den letzten Metern zur Haustür liefen schon wieder die Tränen. Alles, was die vergangenen drei Wochen so weit weg war, stürzte plötzlich auf mich ein. Es gab mal Zeiten, da war das nach Hause kommen nach dem Urlaub fast so schön wie das Abreisen.

Während der letzten Urlaubstage war ich dagegen wohl gut abgelenkt. Natürlich gab es keinen Tag ohne Gedanken an Johannes. Aber meistens blieben die Gefühle dabei sehr diffus. Nur immer wieder große Fassungslosigkeit. Dieser Brocken ist einfach noch zu groß um ihn zu schlucken. Mein geliebter Mann ist tot! Wie bitte? Ich starre diese Tatsache immer noch ungläubig und entsetzt an.

Erschwerend kommt jetzt der Herbst dazu. Während der vergangenen Wochen in meist tropischen Gefilden hatte ich ganz vergessen, wie schwermütig diese Jahreszeit hier ist. Als ich dann vor dem Vohwinkeler Bahnhof stand, habe ich ganz verblüfft die braunen, gerupften Bäume wahrgenommen. Da fühlt es sich zuhause gleich noch etwas einsamer an.

In der Post liegt auch noch eine späte Kondolenzkarte. Seine Ergotherapiepraxis hat es nun auch mitbekommen, das ganze Team hat unterschrieben, der Text ist sehr persönlich formuliert. Wie gerne sie mit Johannes gearbeitet hätten, steht da. Und dass sie sich gerne erinnern, wie er sie alle mit seinen Fertigkeiten am Zauberwürfel verblüfft hat. Damit berühren sie mich. Auch mich hat er immer wieder beeindruckt. „Ich bin halt ein Wunderknubbel“, hat er mir manchmal mit einem Augenzwinkern gesagt.

Nun muss ich mich erstmal unter Leute begeben. Gestern Abend haben mir schon meine Schwiegereltern gut getan. Heute und morgen fahre ich ins nahe Düsseldorf zum Go-Turnier. An den Spielen selbst habe ich nur mäßiges Interesse. Aber ich brauche die Ablenkung und die Gesellschaft.

Unterwegs mit Johannes

Wo ist eigentlich Johannes geblieben? Während der ersten Chaostage in Bangkok habe ich tatsächlich nur wenig an meinen geliebten Mann gedacht. Zu sehr war ich da mit meinen praktischen Problemen und dieser betörenden, fremden Stadt beschäftigt. Ab und zu ist er in mir kurz aufgeblitzt, wenn ich Dinge getan habe, die prädestiniert waren für uns beide. Etwa, als ich alleine am Sushi-Karussel saß und mir die bunten Teller geangelt habe. Oder bei der Fahrt mit dem Longtail-Boot durch Bangkoks Kanäle. Da hatte ich plötzlich einen Moment des ruhigen Genießens – und sofort fehlte mir Johannes schmerzhaft. Zum ersten Mal nach etwa einem halben Jahr war ich auch wieder im Fitnessstudio. In unser Stamm-Studio in Vohwinkel habe ich es noch nicht geschafft, dafür war ich dann in Bangkok bei Fitness First. Bei dem Training mit Blick auf die dunstige Skyline war er auf Schritt und Tritt dabei, zumal die Übungen an den Geräten immer etwas nach innen gekehrtes sind.

Einen denkwürdigen Moment hatte ich, als ich mehrere Stunden lang mit einem charmanten, jungen Philippino sprach, der als Grundschullehrer in Bangkok arbeitet und mir nachts in einem einschlägigen Etablissement begegnet war. Auf einem Schaukelstuhl, im Halbdunkel einer Dachterrasse, fragte er mich irgendwann nach dem Ring an meiner Hand. Und erfuhr so von Johannes. „Oh my god“, war das Einzige, das er hervorbrachte. Immer wieder. Erst entsetzt, dann klagend, schließlich unter Tränen. So viel Mitgefühl hat mich etwas irritiert, aber auch gerührt. Nun musste ausgerechnet ich also ihn trösten.

Selbst finde ich nach wie vor keinen Trost. Im Gegenteil: Seit ich auf dem Schiff bin, ist Johannes allgegenwärtig. Rund 50 Tage haben wir insgesamt mit Kreuzfahren verbracht. Praktisch alles hier an Bord verbinde ich mit ihm. Das Frühstück schmeckt geradezu nach Johannes, weil es bei Royal Caribbean bei aller Auswahl eben immer die gleichen Dinge gibt und weil wir beiden Spätaufsteher das Frühstück immer alleine zelebriert haben. Besonders schlimm waren – wie erwartet – das Einchecken, der erste Gang an Bord, die Sicherheitsübung an Deck und das Auslaufen. Allesamt eigentlich Momente der Vorfreude, in denen er mir so sehr fehlte, dass ich den Gedanken kaum beiseite schieben konnte. Überhaupt: Meine Verfassung hängt ganz einfach davon ab, wie sehr ich die Erinnerungen an mich heranlasse. Meistens, insbesondere in Gesellschaft, drücke ich lieber den Deckel auf die Gefühle. Am ersten Tag der Kreuzfahrt war das aber kaum zu schaffen. Spätabends, als meine drei Mitreisenden sich schon ins Bett verabschiedet hatten, bin ich also noch nach draußen gegangen, so weit nach vorne auf das Schiff, wie es geht, auf eine einsame Liege im Dunkeln und habe in die schwülwarme, sternenlose Nacht geheult bis ich keine Kraft mehr hatte. Das war dringend nötig.

Es ist knapp vier Jahre her, da hatte ich Johannes in einer ähnlich warmen Nacht auf einem Schiff in der Karibik ins Dunkel des Bugs geführt. Auf einer Bank saßen wir eng umarmt, während kräftiger, warmer Wind an uns zerrte. Ich erinnere nicht mehr die genauen Worte, die ich leise und bedächtig in sein Ohr gelegt habe. Aber ich habe von uns, von dieser Reise und der großen Reise des Lebens gesprochen, die ich gerne mit ihm verbringen wollte, egal wohin sie uns auch führen werde. „Willst Du auch? Willst Du mich heiraten?“ Er hat einen Atemzug lang gezögert, bevor er Ja sagte, aber wohl nur, um diesen magischen Moment noch etwas auszukosten. Die Entscheidung hatte er längst getroffen. Später haben wir dann mit unseren Freunden noch auf die Verlobung angestoßen. Zum ersten und einzigen Mal in meinem Leben war mir etwas wirklich Großes geglückt.

Eine Lektion in buddhistischer Gelassenheit

Um diesen Eintrag habe ich mich regelrecht gedrückt. Denn auch wenn ich hier hauptsächlich für mich selbst schreibe, fällt es mir schwer einzugestehen, dass ich vorgestern wohl unfassbar bescheuert war. Ich könnte es mir einfach machen und vermelden: Der Koffer ist wieder da, das iPhone weg. Doch dabei würde ich  ein entscheidendes Detail unterschlagen. Das iPhone ist nämlich wieder weg. Denn zunächst mal ist es in einer filmreifen Aktion zurück in meine Hände gelangt.

Stunden nach dem Erstkontakt mit der mutmaßlichen Finderin hat sie sich  wieder gemeldet. Ich saß gerade in der Lobby – schließlich wartete ich ja auch noch auf meinen verschollenen Koffer. Chaw, ein zierlicher Rezeptionist, verhandelte am Telefon mit ihr. Zum Hotel wollte sie nicht kommen, stattdessen bestimmte sie als Treffpunkt den Starbucks in  einem entfernteren Einkaufszentrum. Chaw schlug mir schließlich vor, mich dorthin zu begleiten. Das war mir sehr recht, schließlich wollte ich, falls möglich, auch noch den Finderlohn auf ein thailändisches Normalmaß herunterhandeln. Eine halbe Stunde  später saßen wir auf einer Bank im Einkaufszentrum „Terminal 21“,  nahe dem Starbucks, und fahndeten misstrauisch nach einer verdächtigen Frau in dem Gewusel.

Ist es die da?  Was  ist, wenn sie zu zweit oder dritt kommen? Wenn sie uns nur das Geld abnehmen wollen? Wenn das Handy gar nicht meins ist, sondern ein Plagiat? Wenn die Verhandlungen  schwierig werden? Chaw erwies sich als ein ganz Ausgebuffter und fädelte es so ein: Er ließ sich einen 1000-Baht-Schein von mir geben (25 Euro). Ich sollte behaupten, selbst  nur noch 1000 zu besitzen (schließlich hatte ich ja mein Gepäck verloren) und er würde dann vorgeben, mir den anderen Tausender zu leihen. In Summe also 2000, statt der ausgelobten 4000.

Dann tauchten sie endlich auf:  Zwei freundliche, junge Frauen und ein kleines Mädchen. Was waren wir erleichtert! Die drei waren kurz nach mir Fahrgäste in dem Taxi und hatten dabei mein iPhone aufgelesen. Wir setzten uns also kurz zusammen, Chaw übernahm die Verhandlung, erzählte von meinen Katastrophen, löste großes Staunen und viele „Ahs“ und „Ohs“ aus. Ich verstand nichts und nickte freundlich.  Als  es  ans Geld ging, wurden die Mienen kurz eisiger, die junge Finderin hatte sich wohl  schon gefreut.  Wir zogen aber unser einstudiertes Schauspiel durch – dann war plötzlich alles ihn Ordnung. Scheine und Handy getauscht, schnell noch  reihum Erinnerungsfotos gemacht. Happy End! Zumindest für 20 Stunden.

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Für den nächsten Morgen hatte ich mir eine freie Stadtführerin organisiert, die mir für ein überschaubares Honorar ihre Stadt zeigen sollte. Um 10 Uhr ging es los und um 17 Uhr, dem offiziellen Führungsende, machte Jam noch immer unverdrossen weiter. Da waren wir bereits mit dem Linienboot den Chao Phraya hinaufgefahren, waren zu Fuß durch Thonburi gestreift, die ehemalige Hauptstadt Siams, durch ein wunderbar friedliches Slum und hatten einen Lokschuppen erkundet, in dem die Dampfloks zu des Königs Ehren stehen und auf ihren Einsatz warten, hatten in einem Tempel gesessen, waren im Longtailboot durch Bangkoks Kanäle gerauscht, hatten unterwegs Fische gefüttert, uns traditionell bekochen lassen und Krokodile bestaunt. Viele der Punkte waren „off the beaten track“ und damit genau nach meinem Geschmack. Nebenbei hat Jam mir erfrischend natürlich die Thais und sich selbst erklärt. Das war bis dahin ein ganz wunderbarer Tag. Danke, Jam!

Bei der Zugabe sollte es noch durch Chinatown gehen. Und auf der Taxifahrt dorthin hatte ich mal wieder zu viel im Kopf, in den Händen und… ja, leider… auch in den Taschen. Kaum ausgestiegen, die ersten Schritte im Getümmel gegangen, bin ich auch schon schier zusammengebrochen. Nicht schon wieder das iPhone! Ich muss ziemlich dämlich ausgesehen haben, wie ich da auf der Straße ausgeflippt bin, auf Englisch fluchend, die Haare raufend, wie Rumpelstilzchen stampfend. Das war einfach zu viel für mich.

Diesmal wusste ich ja schon, wie das mit dem Smartphone-verfolgen funktioniert. Wir haben augenblicklich die Fährte aufgenommen, sind dem leuchtenden Punkt auf der Karte hinterhergerannt. Kurz, kreuz und quer durch Chinatown. Dann war es vorbei: Der Dieb hat mein iPhone aus- und seitdem nicht wieder eingeschaltet. Wie groß der Frust diesmal war, lässt sich nicht in Worte fassen.

Mir blieb also nichts anderes übrig, als eine Lektion in buddhistischer Gelassenheit zu lernen. Die Dinge zu nehmen, wie sie kommen. „Focus on the present“, riet Jam mir eindringlich. Die Vergangenheit sei vorbei und die Zukunft ungewiss. Nur die Gegenwart könne ich genießen und gestalten. Sie hat ja so Recht.

 

Auf der Suche nach Vorfreude

IMG_5496Keine zwölf Stunden mehr bis der Flieger geht – und eben habe ich allen Ernstes überlegt, nicht einzusteigen und die Reise einfach sausen zu lassen. Es kommt mir alles so falsch und sinnlos vor. Hier bin ich Johannes doch am nächsten, was soll ich da so weit weg? So lange? Immer wieder muss ich auf das Bild schauen, das uns bei der ersten Kreuzfahrt in der Karibik zeigt, wo er so ruhig und glücklich strahlt. Nur wenige Tage bevor wir uns verlobt haben, wenige Monate vor der Diagnose. Wer seine Verkrampfungsneigung vor Kameras kennt, der weiß, wie ungewöhnlich dieses Bild ist.

Er fehlt mir gerade so schrecklich, dass ich wie gelähmt bin. Das ganze Vorhaben erscheint mir bedeutungslos und in erster Linie bloß anstrengend. Der Koffer ist aber weitgehend gepackt. Darin der gleiche Anzug, die gleiche Krawatte, die ich auch auf dem Bild trage. Beim Packen musste ich mich leider auch einmal quer durch unsere Kleiderschränke wühlen, vorbei an seinen griffbereit liegenden Sportsachen und dem T-Shirt, in dem er mich  jahrelang am liebsten gesehen hat.

Wahrscheinlich mache ich mich nachher trotzdem auf den Weg. Aber eher aus Feigheit. Aus der Feigheit, so viel Planung, Geld und Erwartungen über Bord zu werfen. Ein wenig vielleicht auch aus der Erfahrung heraus, dass es rückblickend meistens viel besser ist, etwas getan als etwas gelassen zu haben.

So nah und so fern

Gestern war ich zum ersten Mal seit der Beisetzung an Johannes Grab. Ja, zum ersten Mal, nach beinahe sechs Wochen. Ich habe mich selbst gefragt, woran das liegt. Eine Art Gleichgültigkeit, weil dieser Ort doch gar nicht so viel mit Johannes zu tun hat? Oder schlicht Angst? Jetzt weiß ich es: beides stimmt.  Meine Schwiegermama hat den Anstoß gegeben und gefragt, ob wir uns nicht auf ein Stück Kuchen am Friedhof treffen wollen. Da wusste ich plötzlich, dass ich vor meiner Abreise am Montag auf jeden Fall dorthin will. Also abgemacht. Genauso spontan und natürlich erschien es mir, auf dem Weg dorthin ein paar Rosen mitzunehmen. Ich konnte doch nicht mir leeren Händen vor ihm stehen! Und er hat sich immer so gefreut, wenn ich Blumen mit nach Hause gebracht habe.

Grab

Ojeh, war das dann zwiespältig am Grab. Irgendwie war er mir ganz nah, gleichzeitig so weit weg. Beides tat weh. Der namenlose Haufen Erde, die Pflanzen darauf waren mir fremd, der Gedanke an das, was von Johannes wohl da unten lag, war auch nicht gerade tröstlich. Außerdem haben die Friedhofsgärtner nebenan einen Höllenlärm veranstaltet, so dass ich nach fünf jämmerlichen Minuten auch schon ins Lokal geflüchtet bin. Es wurde ein trauriges Kuchenessen. Und trotzdem gut so und wichtig.

Jetzt kann ich mich auf den Weg machen. Auf eine Reise, die vor mehr als einem Jahr zusammen mit Johannes geplant war. Natürlich war das sehr ambitioniert, aber so sollte es auch sein. Ein Ansporn für ihn um gesund zu bleiben. Ein kühnes Ziel, aber kein utopisches, angesichts seiner fantastischen Verfassung im September 2014. Nun steht mir die erste Kreuzfahrt ohne Johannes bevor – und ich kann mich nicht darauf freuen. Allein der Gedanke an das Einschiffen lässt mich schaudern. Was gemeinsam immer ein Fest war, die Bordkarten in Empfang zu nehmen, erstmals die Gangway hinaufzugehen, dürfte diesmal einfach nur wehtun. Wie so maches auf der Kreuzfahrt, die doch so reich an Ritualen ist: Die ausgiebigen, mehrgängigen Abendessen zu viert, die allabendlichen Shows im Theater, die Formal Nights, für die wir uns immer vorher auf der Kabine in Schale geworfen haben. Das wird diesmal alles sehr schwer. Darum bin ich auch ganz froh, noch etwas Urlaub vorneweg und hintendran gehängt zu haben: sechs Nächte Thailand – da wollte Johannes sowieso nie hin – und vier Nächte Hongkong. Da bin ich zwar überall auf mich alleine gestellt – aber das bin ich jetzt ja ohnehin.

Im Nebel

Seit drei Tagen bin ich erkältet. Die Nase läuft, der Kopf ist schwer, ich niese dauernd – und irgendwie fühle ich mich wie zugedröhnt. Das ist gar nicht so übel. Denn seit ich mit meiner Erkältung ringe, merke ich von der Trauer weniger. Vermutlich fehlt mir einfach die Kraft dazu. Außerdem scheint hier seit Tagen unentwegt die Sonne, auch das  mildert die Trübsal. Von der Stimmung her stecke ich aber eher im Nebel, alles ist etwas blass, grau und unscharf. Dafür tut’s nicht so weh.

Auf der Couch versumpfen kommt derzeit trotzdem nicht in Frage. Dafür ist zehn Tage vor der Abreise einfach zu viel zu tun. Außer den Reisevorbereitungen und ersten Schritten zur Rückkehr in die Selbstständigkeit steht noch ein Go-Turnier am Wochenende an. Mitte der Woche erwarte ich zudem Besuch zur Essener Spielemesse, Philipp und Oli aus Stuttgart wollen für fünf Tage hier ihr Basislager aufschlagen. Dann wird wohl zum ersten Mal seit Johannes gegangen ist, wieder richtig in der Küche gekocht. Darüber hinaus habe ich mir drei eher innere Herausforderungen vorgenommen: 1. Will ich endlich die Zuzahlungsbefreiung bei seiner Krankenkasse beantragen. Darum drücke ich mich bisher nicht nur wegen der nervigen Bürokratie, sondern wegen der ganzen Belege, die ich dann sichten muss. Das ist massive Auseinandersetzung mit seinem Krankheitsverlauf. 2. Johannes‘ Ergotherapie-Praxis weiß wohl noch gar nichts von seinem Tod. Außerdem haben sie noch eine Töpferarbeit von ihm, an der ihm sehr lag. Er wollte, dass sie irgendwo gebrannt wird. So sei es. 3. Will ich in „unser“ Fitnessstudio. Das ist wie kaum ein anderer Ort für mich mit ihm verknüpft. Mal schauen, wie es mir damit geht. Aber erstmal muss ich wieder etwas gesünder werden, erstmal muss sich der Nebel lichten.

Kondolenz-Korrespondenz

Ein kleines, frühes Kapitel der Trauer habe ich gerade abgeschlossen: die Kondolenz-Korrespondenz. Aus vielen Richtungen hat meine Schwiegereltern und mich Post erreicht. Manche davon überraschend, vor allem die Zeitungsanzeige und ein Post auf Facebook haben Menschen einbezogen, die zuletzt vielleicht nicht mehr im Blickfeld waren. Bei manchen war ich angenehm über die Anteilnahme überrascht. Insgesamt ging mir das Ritual aber an die Nieren. Denn allzu floskelhafte Karten sind mir aufgestoßen, die einfühlsameren haben mich aufgewühlt. Also habe ich den größten Teil der Briefe erstmal liegen gelassen. Gestern dann fühlte ich mich ruhig genug, um noch einmal jeden Brief zur Hand zu nehmen, endlich die Antwortkarten zu verfassen (meist nur ein Satz) und zu  verschicken. Wider Erwarten war es dann doch ein emotionaler Kraftakt. Ich vermute, weil mir jede Karte schwarz auf weiß gesagt hat, dass Johannes tot ist. Wahrscheinlich ist diese Botschaft doch noch nicht ganz bei mir durchgesickert.

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Und noch etwas gehört in diesen Kontext: Die Deutsche Hirntumorhilfe hat gerade unaufgefordert eine Aufstellung mit allen Spendern geschickt, die unserem Geld-statt-Blumen-Aufruf gefolgt sind. In Summe sind es 1195 Euro geworden. Echt stattlich, finde ich! Ein wenig gefreut hat mich auch, dass sich wirklich viele Menschen beteiligt haben, dass sich die Summe vor allem aus kleineren und mittleren Beträgen zusammen setzt. Die Hirntumorhilfe kann es gut brauchen, allein schon für ihren halbjährlichen Infotag, zu dem allein ich sechsmal gereist bin. Tja. Ich sag hiermit mal stellvertretend Danke.

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