Lange nichts gehört von mir, was? Aber nichts dabei gedacht, weil die letzte Botschaft ja beinahe eine Jubel-Nachricht war? Weil mein „Leben danach“  ja jetzt schon neun Monate dauert? Sich langsam alles einrenkt? Von wegen! Ich habe es in den vergangenen Wochen schlicht nicht geschafft, von mir zu schreiben. Wie ich überhaupt nur wenig geschafft habe. Niedergeschlagen und kraftlos lief ich im Notbetrieb. Essen, Schlafen, Ablenken. Schwer zu sagen, ob das alles die Trauer allein war. Aber sie hatte definitiv ihren Anteil. Denn merkwürdigerweise drückt sie seit etwa vier Wochen wieder schwerer, denke ich wieder mehr an Johannes, meinen geliebten Mann.

Steinmetz-IchAnlässe gibt es genug.  Besonders eingeschlagen hat mein Vorstoß, sein Zimmer endlich aus- und umzuräumen. Dazu hatte ich mir die Hilfe von Johannes bestem Freund erbeten,  der mit ihm das Hobby der Computerei geteilt hat, vor allem rund um den Schneider CPC. Er kam also für ein Wochenende aus dem Schwäbischen herbei, hat einen Großteil von Johannes Sammlung eingepackt und dabei kräftig geholfen, klar Schiff in seinem Zimmer zu machen. Und auch wenn das meiste gar nicht durch meine Hände ging, hat mich die Aktion doch ziemlich angegriffen.  Das habe ich aber erst Tage später so richtig gemerkt.  Drei Wochen später habe ich dann mit meiner Schwiegerma auch noch den ausladenden Schreibtisch von Johannes auseinander gebaut. Noch so ein Ding. Das sind alles nur kleine Schritte, aber es  ist der Anfang vom Auszug. Ihn ausziehen zu lassen, bedeutet ja, seinen Tod zu akzeptieren. Aber da laufen Kopf und Gefühl mal wieder weit auseinander. So steht sein Kulturbeutel noch im Bad, die T-Shirts liegen im Schrank bereit – als könnte er jederzeit zurückkommen. Da kann ich immer noch nicht ran.

Meine Schwiegerma trauert auch wieder mehr, sagte sie mir. Eine Erklärung ist wohl, dass unsere Erinnerungen oft genau ein Jahr zurückgehen. Und vor einem Jahr wurde die Lage so richtig bedrohlich und bedrückend. Da schwanden langsam die Kraft und die Hoffnung. Da kamen jeden Tag neue Symptome hinzu. Eine der Metastasen im Rückenmark hatte offenbar Nerven im Steiß so eingeklemmt, dass Empfindung und Kontrolle ausfielen. Irgendwann Stuhlinkontinenz. Das ist so unfassbar fies, erst recht für einen 32-Jährigen. Windeln kosten Würde und Mobilität, ans Schwimmengehen war nicht mehr zu denken. Weil sein Rückenmark an zwei Stellen durch die Metastasen zum Seidenen Faden gequetscht war, lag er nachts ängstlich und reglos auf dem Rücken. Als Folge tat sich eine eine klaffende Lagerungswunde auf, ebenfalls am Steiß. Eine Katastrophe. Das viele Kortison hatte ihn zerschunden, die Haut entzündete sich leicht, so auch das Nagelbett am Mittelfinger, der ganz bandagiert wurde. Das sah lustig aus und Johannes versuchte etwas gequält darüber zu lachen. Der Süße, Tapfere.

Warum ich seit zwei, drei Tagen wieder etwas in Schwung komme, weiß ich nicht. Bin aber heilfroh darüber. So ging es einfach nicht weiter, ich hatte schon erste Schritte unternommen um mir eventuell ein Antidepressivum verschreiben zu lassen.  Vorgestern hat mich dann eine Hiobsbotschaft auf Trab gebracht. Mein Krankengeld, das ich – zwar auslaufend – aber noch bis September eingeplant hatte, kam nicht an. Auf Nachfrage bei der Krankenkasse erfuhr ich dann, dass auch keines mehr zu erwarten ist. Da war ich einer falschen Information aufgesessen – und muss mich nun plötzlich und früher als erwartet ohne jede Hilfe über Wasser halten. Erst ein Schock. Jetzt ein elender Druck. Lässt sich aber nicht ändern, also muss ich einen Fuß vor den andern setzen.

Steinmetz-ICHHeute habe ich dann zum ersten Mal an Johannes Grabstein gearbeitet. Zum fünften Mal war ich bei dem Steinmetz unseres Vertrauens. Ein toller Typ, Künstler und Handwerker zugleich, warm und wohlwollend. Aus dem dicken Brocken, den wir uns ausgeguckt haben, haben wir eine geschwungene, fast schon grazile Form herausgeschält. Natürlich hat er das meiste dafür getan, aber ich durfte mitentscheiden und mich mit einer brachialen Handbohrmaschine einsauen. In die Löcher kamen Keile, mit denen größere Teile abgeschlagen werden konnten. Auf drei bis vier volle Tage harter Plackerei hat mich der Steinmetz vorbereitet. Doch ich freue mich geradezu darauf. Es tut gut, Johannes ein Denkmal setzen zu dürfen.