„Embrace the struggle“

Da bin ich also in Barcelona. Einfach so, ganz unaufgeregt, eher ein Ausflug als eine Reise. Ganz im Gegensatz zu meiner Flucht neulich nach Mailand, kann ich es diesmal durchaus genießen, bin schon deutlich näher bei mir.  Es ist voll hier, aber heiter und entspannt. Die Sonne schaut auch so weit südlich von Deutschland nur für ein paar Stunden täglich vorbei, so flach, dass sie die schmalen Gassen des gotischen Viertels bloß streift. Die Platanen der großen Prachtboulevards sind nicht mehr grün, sondern scheinen vornehm silbrig. Das könnte auch an dem Weihnachtsschmuck liegen, der massenweise zwischen ihnen gespannt ist. Meist sind es Kunstwerke aus Lichterketten. Abends, wenn die Stadt traditionell noch lebhafter wird, geben sie dem Gewusel eine süßlich-melancholische Note.

Die meiste Zeit habe ich wohl mit ausgedehnten Gängen durch die Innenstadt verbracht. Manchmal bin ich über Erinnerungen an Johannes gestolpert. Zuletzt war ich mehrfach mit ihm hier, mal auf dem Weg zum – oder vom Schiff, mal zu Besuch bei meinem Vater. Dort saßen wir beim Café Cortado, dort haben wir das Picasso-Museum gesucht, dort unser Gepäck deponiert. In einem Laden halte ich plötzlich ein rotes Gummi-Gehirn in Händen. Der Scherz kommt bei mir nicht gut an, kurz überfällt es mich wieder. Doch im Großen und Ganzen bin ich recht ruhig.

imageAuf der Straße sitzt ein eigenartiger Kerl: heller Vollbart, mäßig ungepflegt, auf den ersten Blick ein Bettler. Doch er hat eine Aura, wie er da so konzentriert in einem Karoblock schreibt. „Ideas that change your life – 1 Euro“ – verspricht das Schild vor seinen Füßen, daneben sind drei gefaltete Karo-Zettelchen aufgereiht. Wie charmant, denke ich mir und will ein Foto von ihm machen. Die beste Bettel-Idee seit langem – hoffentlich nicht so bald so oft kopiert. Wir kommen kurz ins Gespräch. Er habe viele Jahre leben müssen für seine Ratschläge, sagt er. Außerdem würde er selbst die besten immer wieder neu formulieren – um sie wahrhaftig zu erhalten.

imageJetzt bin ich doch neugierig, entscheide mich für den mittleren der drei Zettel. Das hat etwas von chinesischen Glückskeksen, nur viel besser. Das Stück Papier kommt mir vor wie ein kleiner Schatz. Erst recht, nachdem ich ihn in sicherer Entfernung gelesen habe.  Grob übersetzt steht da: „Du musst das Kämpfen lieben lernen, um durch schwere Zeiten zu kommen. Um nicht aufzugeben. Warum? Weil Du tausend mal mehr zu schätzen weißt, was Du Dir erkämpft hast, als was Dir einfach zugefallen ist. Dankbarkeit ist das Wesen des Glücks.“ Erstaunlich, oder?  Ich glaube, der Mann verändert wirklich Leben. Vielleicht nicht immer grundlegend, aber da und dort ein wenig. Und wer kann das schon von sich behaupten?

Heute Abend gehts wieder zurück nach Wuppertal. Und ich kann jetzt schon sagen, dass es gut war, hierher gekommen zu sein. Gleich will ich noch ins Museum für Moderne Kunst gehen. Ganz gleich, was sie dort gerade zeigen. Johannes  und ich hätten das genauso gemacht.

 

1 Comment

  1. Lieber Erik,

    jetzt bist du wohl wieder in Wuppertal, nehme ich an…
    Dieser Bericht von dir verströmt tatsächlich eine Ruhe und ja , man merkt dass du entspannt bist… dich für eine Weile „gefunden“ hast… sehr stark aus…

    Was mich , wie dich ja auch sehr berührt hat, war die Haltung dieses für mich doch noch jungen Mannes, aber auch gezeichnet von seinem Leben auf der Strasse….. Sehr meditativ sitzt er da…
    und…
    gar nicht einfach zu beschreiben für mich, die Ausstrahlung von ihm und diesen 3 Blättern, eines noch grünlich/gelblich und die beiden anderen vertrocknet… Sehr zart und sehr fragil… ebenfalls die beschrifteten Zettel darauf… Als ob alles plötzlich verschwinden könnte… und dennoch so präsent… Damit meine ich das GANZE…

    Diese Städte, wie bei dir Barcelona, haben einen völlig anderen Charakter und auch die Atmosphäre ist eine völlig andere in den Wintermonaten… Ich kenne nur Florenz in den frühen Wintertagen…

    Ich habe diesen Zettel mit der Beschriftung vergössert und kam zu zwei Erkenntnissen, die ich einfach bemerkenswert fand… und die auch dann eine andere Empfindung in mir auslösten…

    „emprace the struggle“ laut google…
    wird da als „umarme(n) den Kampf“
    beschrieben…
    Das passt fast zu allen Lebenssituationen , die wir als „Kampf “ verstehen…
    Für mich heisst das mal wieder … nicht dagegen wehren, sondern eben halt durch das „umarme“ , das wiederum… wieder einmal… akzeptieren…
    Das „IST“ anerkennen…
    Es passte völlig zu diesem Mann… ich denke ebenso zu dir und mir und eigentlich zu jedem Menschen, der meint in einem Kampf zu sein…
    Durch das umarmen kommt der völlig friedliche Aspekt hinein…in diesen Kampf, der sich dann ja auflöst ?? … meiner Meinung nach…??

    Damit bin ich gestern übrigens ins Bett gegangen, weil ich deine Beitrag schon gestern gelesen hatte…
    Da zweite , was mich sehr berührt hat, war die Aussage:
    “ and gratitude is the essence of happiness“…

    Ja… Dankbarkeit… ein so wichtiges und wertvolles Gefühl für unser Leben… und es als die Essenz von Glück… oder eben glücklich fühlen zu sehen … bedeutet tatsächlich nicht unbedingt Erfahrung sammeln in vielen Jahren … aber sehr vielen tief gehenden Ereignissen und Erlebnissen… also dennoch lang…

    Mit diesen beiden Empfindungen hat dieser Mann tatsächlich nicht nur sich und dich erreicht sondern auch mich…

    So dankbar und still glücklich , das ich gestern gar nicht hätte schreiben können…
    Ja er hat was bewirkt…

    Essenz bedeutet ja in der Homöopathie tatsächlich die „Botschaft“ die eine Pflanze „aussendet“.. und dann das Gehirn des Menschen oder Tieres erreicht und sich entfaltet und etwas bewirkt…etwas „in Fluss “ bringt…

    Ich freue mich so „still innerlich “ für deine ausstrahlende Ruhe… und hoffe sehr, dass sie dir die nächsten 2 Wochen zumindest so weit erhalten bleibt, dass du diese nicht so einfache Zeit (Weihnachten und Sylvester) sind immer sehr emotional in der Trauer …

    mit lieben Menschen um dich herum… SEHR um dich herum !!! … bewältigst…
    Umarme du DICH in diesem innerlichen Kampf … und natürlich einige liebe Menschen die um dich sind…

    das wünscht dir von ganzem Herzen
    deine Freundin Claudia mit Burkard im Herzen und Leben….

    P.S. ich bin entweder schon morgen… oder spätestens am Sonntag bei meinem Sohn in Köln und dann um Sylvester wieder bei mir…

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